Bildungszugang durch soziale Rahmenbedingungen sichern – BAföG zukunftsfähig gestalten

Die AfB Schleswig-Holstein fordert den AfB-Bundesverband sowie die SPD-Bundestagsfraktion
auf, sich für die im Folgenden genannten Anpassungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes einzusetzen:

● eine starke öffentliche Förderung für alle Bildungsphasen,
● Erhöhung der Bedarfssätze über die Höhe des Existenzminimums,
● eine empirische Ermittlung des spezifischen studentischen Bedarfs unter Berücksichtigung der
Vielfalt von Alter, Wohnkosten und Lebenslagen,
● Finanzierungssicherheit für Empfängerinnen und Empfänger durch eine Verstetigung der
Freibeträge und Bedarfssätze,
● Schrittweise Rückkehr zum BAföG als Vollzuschuss,
● Abschaffung des BAföG-Leistungsnachweises,
● Weiterförderung auch nach Erhalt von Schüler-BAföG,
● eine Anpassung des BAföG an neue Studienmöglichkeiten an Hochschulen (Individualisierung,
Flexibilisierung, Teilzeitstudium),
● das BAföG in ein System lebensbegleitenden Lernens zu integrieren, in dem auch ein
Weiterbildungsstudium förderungsfähig und Altersgrenzen sowie Elternabhängigkeit abgeschafft
sind.

Begründung

Chancengerechtigkeit beim Hochschulzugang und gesellschaftliche Teilhabe an Bildung mit einem
klaren Rechtsanspruch auf eine bedarfsdeckende Studienfinanzierung sind nur über eine ernsthafte und
weitreichende Reform des BAföG zukunftssicher zu gestalten.

Das BAföG wird nicht nur für den reinen Lebensunterhalt, sondern darüber hinaus auch für
ausbildungsbedingte Kosten (Lernmittel, Immatrikulations- und Rückmeldegebühren) gewährt. Eine
FiBS-Studie kommt bei einem Vergleich von Sozialerhebung [1], EVS [2] und SOEP [3] zum Ergebnis,
dass der BAföG-Bedarf eine Unterdeckung ausweist.[4]

Eine BAföG-Förderung muss gewährleisten, dass ein Studium bedarfsdeckend finanziert werden kann.
Die Bedarfssätze sind an den tatsächlichen Ausgaben für ein Studium zu orientieren. Dieser Anspruch
wird bisher nicht erfüllt, sodass Finanzierungshürden und Hürden für eine Absolvierung des Studiums
innerhalb der Regelstudienzeit, insbesondere für Studierende aus Familien mit wenig Einkommen,
bestehen. Der studentische Bedarf wurde bei der Einführung des BAföG 1971 nicht empirisch ermittelt. Der Bedarf wird in den BAföG-Berichten der Bundesregierung anhand des Verbraucherpreisindexes fortgeschrieben. Die Höhe einer in den letzten Jahren eher unregelmäßig erfolgenden BAföG-
Bedarfsanhebung wird dabei anhand der Haushaltslage entschieden. Gemäß Bundesverfassungsgericht muss der Gesetzgeber den Sozialleistungsbedarf [5] aber empirisch ermitteln. [6]

Mehrere Generationen von Studierenden haben zwischen 2001 und 2008 sowie zwischen 2010 und
2016 nie eine BAföG-Anpassung erfahren. Nominelle Steigerungen von Elterneinkommen
(Tarifanhebungen) bei gleichbleibenden Elternfreibeträgen führen zu geringeren Förderungsbeträgen
oder dem Herausfallen aus der BAföG-Förderung. Dabei führen Einkommenssteigerungen nicht
zwangsläufig dazu, dass die elterliche Unterstützung steigen kann. Die Studienfinanzierung muss sich
an der tatsächlichen Preisentwicklung orientieren und darf nicht von der Willkür einer Gesetzesnovelle
abhängig sein. Dies ist mittels einer gesetzlich verankerten, jährlichen Anpassung der Förderhöhen und
Bedarfssätze an die allgemeine Preisentwicklung realisierbar.

Im Jahr 2016 trat eine siebenprozentige BAföG-Anhebung in Kraft. Die Zahl der BAföG-geförderten
Studierenden sank trotzdem um knapp 28.000. [7] Während die Studierendenzahlen immer weiter
steigen, sinkt die Quote der BAföG-Empfänger*innen. Dies ist ein weiteres Anzeichen für die soziale
Spaltung im Bildungssystem. Die Studierenden richten sich gezwungenermaßen auf eine Finanzierung
mit immer geringeren BAföG-Leistungen ein, nehmen dafür eine Studienzeitverlängerung in Kauf.
Das bereits 1971 eingeführte und später wieder abgeschaffte Konzept des Vollzuschusses der staatlichen Studienfinanzierung muss wieder aufgenommen werden.[8] 37 % derer, die keinen BAföG-
Antrag gestellt haben und aus Elternhäusern mit niedriger Bildungsherkunft geben als Motiv an, dass damit Schulden vermieden werden sollten. Auch wenn hier noch Informationsdefizite aus dem
Volldarlehenszeitraum von 1983-1990 eine Rolle spielen könnten sowie eine sozial bedingte höhere
Scheu vor Risiken: 10.000 Euro Schulden bedeuten für junge Menschen eine sehr hohe Hürde und hält
von der BAföG-Antragsstellung ab, weil die Aufklärung zur möglichen Amortisierung durch höhere
Einkünfte durch einen höheren Bildungsabschluss[9] fehlt. Dass eine Sozialleistung in Form eines
Darlehens gezahlt wird, ist das größte Manko des BAföG. Ein Vollzuschuss ermöglicht, dass sich
Menschen aus einkommensschwachen Familien überhaupt für ein Studium entscheiden.
Der Staat begrenzt die BAföG-Förderung durch den, durch die Bologna-Reform völlig ad absurdum
geführten, Leistungsnachweis nach dem 4. Fachsemester und zwingt Studierende dadurch in (weitere)
Erwerbstätigkeiten, was den Studienabschluss in der Regelstudienzeit noch weiter verhindert (die
Regelstudienzeit sollte eigentlich dem Schutz von Studierenden dienen, wird jedoch inzwischen mehr als
Sanktionsinstrument genutzt).

Letztlich verliert das BAföG durch die mangelnde Anpassung an die Realität und an die Bedürfnisse von
Studierenden weiter an Bedeutung, sodass das mit seiner Einführung verfolgte sozialdemokratische Ziel,
dass Bildung nicht aus finanziellen Gründen unzugänglich sein soll, zunehmend geschwächt wird.
Studienfinanzierung bzw. Weiterbildungsfinanzierung durch das BAföG ist nicht mehr nur für Menschen, die gerade die Schule verlassen haben, notwendig. Wer ein sozial durchlässiges Bildungssystem will, dabei ein Leben lang Bildungszugang und Weiterbildung ermöglichen will, muss auch die sozialen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Für die dringend notwendigen BAföG-Reformen und das gesamte öffentliche Bildungssystem gilt: Bildungsgerechtigkeit ist nur zusammen mit Steuergerechtigkeit zu denken. Wir brauchen eine starke öffentliche Förderung für alle Bildungsphasen.

[1] Sozialerhebung (Bezugsjahr 2012).

[2] Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (Bezugsjahr 2013).

[3] Sozio-oekonomische Panel (SOEP) (Bezugsjahr 2010).

[4] http://www.studentenwerke.de/sites/default/files/dsw_fibs_online.pdf, Dohmen, Cleuvers, Cristóbal & Laps, 2017.

[5] Das BAföG ist eine Sozialleistung, § 68 SGB I.

[6] BVerfGE 125, 175 – 260.

[7] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/219/umfrage/anzahl-der-bafoeg-gefoerderten-studenten/

[8] Papier “Soziale Öffnung durch eine starke Studienfinanzierung – 10 Punkte für ein modernes BAföG”, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und Deutsches Studentenwerk (DSW), 2013.

[9] Dies ist aber am Ende auch abhängig vom Studiengang. Nicht jeder Studiengang führt später zu höheren Einkünften.